Die Selbsthilfe
hat sich bei Depressionen als
Unterstützung und Ergänzung der Therapie als sehr hilfreich erwiesen. In
einer Selbsthilfegruppe treffen sich Betroffene oder Angehörige zum
gegenseitigen Erfahrungsaustausch, zur gemeinsamen Suche nach möglichen
Bewältigungsformen, aber auch, um von einer Gruppe Gleichbetroffener
getragen zu werden. Die Selbsthilfegruppen ermöglichen Betroffenen und
Angehörigen den Aufbau von neuen sozialen Kontakten.
Die Leistungen der Selbsthilfegruppen
sind in den letzten Jahren als preiswerte Ergänzung zum professionellen
Gesundheitssystem von den Kostenträgern entdeckt worden. Daher können
Gesundheitliche Selbsthilfegruppen von der gesetzlichen Krankenversicherung
gefördert werden. Grundlage ist der § 20 Abs. 4 des Sozialgesetzbuch V (SGB).
Vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten bieten auch andere Institutionen
(z.B. Rentenversicherung aber auch Kommunen und Länder).
Etwa die Hälfte aller Selbsthilfegruppen
sind freie, nicht organisierte Selbsthilfegruppen. Sie gehören keiner
überregionalen Selbsthilfeorganisation an.
Leitfaden für Selbsthilfegruppen
Was gibt mir eine Selbsthilfegruppe (SHG)?
Ich bin von psychischer Krankheit betroffen oder Angehörige/r einer
psychisch kranken Person. In der SHG für Betroffene oder für Angehörige
finde ich Menschen in der gleichen Lage. Im offenen Gespräch werden
Erfahrungen ausgetauscht. Ich erlebe, dass ich mit meiner Situation nicht
allein dastehe. Meine Erfahrungen können für andere hilfreich sein und ich
profitiere von den Erfahrungen anderer. Selbsthilfegruppen werden nicht von
Fachleuten geleitet, sind also keine Therapiegruppen. Jedes Gruppenmitglied
ist gleichberechtigt und trägt zum Gelingen der Gruppe bei. Selbsthilfe
bedeutet, dass ich entschlossen bin, mein Leben selbst in die Hand zu
nehmen. Dabei werde ich von Menschen unterstützt die dasselbe anstreben.
Rahmenbedingungen für
Selbsthilfegruppen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie eine Gruppe funktionieren kann. Eine
Gruppe ist dann gut, wenn die Teilnehmenden sich in der Gruppe wohl fühlen
und von der Gruppe profitieren. Die nachfolgenden Rahmenbedingungen helfen
uns bei der Gründung neuer Gruppen oder bei der Bewältigung von Krisen
in bestehenden Gruppen. Es ist wichtig, dass wir uns beim Start einer SHG
auf Zielsetzungen und Gruppenregeln einigen und diese bei Bedarf gemeinsam
ändern.
Erwartungen an die Selbsthilfegruppen
Die Erwartungen können recht unterschiedlich sein. Diese können sein:
-
ich möchte mehr über mich erfahren,
-
ich erhoffe mir mehr Wissen über die
Krankheit,
-
ich suche ein tragendes Netz in
Krisensituationen,
-
ich möchte den Kropf leeren,
-
ich möchte lernen, mit der Krankheit zu
leben,
-
ich suche Kontakte für die
Freizeitgestaltung,
-
ich möchte gerne andern helfen,
-
ich möchte mich in der Öffentlichkeit für
Entstigmatisierung engagieren etc.
Keine Selbsthilfegruppe kann gleichzeitig
alle diese Erwartungen erfüllen. Deshalb muss ich und meine
Selbsthilfegruppe immer wieder fragen: Was ist mir, was ist uns wichtig.
Der äußere Rahmen für SHG
Ort der Gruppentreffen
Es ist sinnvoll, die Gruppentreffen an einem neutralen Ort
(Gemeinschaftszentrum, Kirchgemeindehaus, ein Restaurant, Klinik,
Altersheim, etc.) abzuhalten. Treffen in Privaträumen von Teilnehmenden
haben sich nicht bewährt. Eine einseitige Gastgeber-Rolle verursacht
ungünstige Machtgefälle.
Häufigkeit der Treffen
Die meisten Gruppen treffen sich 14-täglich.
Die Erfahrung zeigt, dass wöchentliche Treffen bald überfordern. Bei
monatlichen Treffen hingegen dauert es länger, bis Vertrauen untereinander
entsteht.
Teilnahme
Regelmäßige Teilnahme an den Treffen wirkt sich positiv auf das Klima in der
Gruppe aus. Es ist sinnvoll, dass ich mich zur regelmäßigen Teilnahme
entschließe. Wenn ich verhindert bin, melde ich mich ab, damit sich die
andern Gruppenmitglieder nicht unnötig um mich Sorgen machen.
Die innere Struktur der Gruppe
Verantwortung der Gruppe
Als Gruppe einigen wir uns gemeinsam über die Programmgestaltung (Einladung
von Referenten, gesellige Anlässe, öffentliche Info-Veranstaltungen, etc.).
Wenn jemand unabgemeldet nicht in der Gruppe erscheint oder wenn wir wissen,
dass es jemandem nicht gut geht, sprechen wir ab, wer von uns im Moment über
die nötigen Kräfte verfügt, um nachzufragen.
Gestaltung der Treffen
Nicht nur jeder Mensch, auch jede Gruppe ist einmalig: In einzelnen Gruppen
sind die Treffen klar gegliedert in Anfangsrunde, Diskussionsrunde und
Schlussrunde. Andere Gruppen gestalten ihre Treffen sehr frei. Es gibt
Gruppen, die Halbjahres- oder Jahresprogramme mit thematischen Schwerpunkten
aufstellen. Wieder andere Gruppen finden über längere Zeit genügend
Gesprächstoff beim kritischen Besprechen aktueller Erlebnisse der
Teilnehmenden.
Wie anfangs erwähnt, ist es wichtig, dass wir die passende Form für unsere
Treffen gemeinsam finden und bei Bedarf neu besprechen.
Im Gespräch voneinander lernen
Wenn ein Gruppenmitglied ein Ereignis schildert, können wir uns fragen: Ist
dies typisch für Menschen, die depressiv oder manisch reagieren, ist dies
typisch für die Dynamik zwischen Betroffenen und Gesunden, wie hätte ich
mich in einer vergleichbaren Situation gefühlt, wie hätte ich reagiert? Wie
habe ich vergleichbare Situationen bewältigt? Auf diese Weise sind wir immer
mit einbezogen und leiden nicht darunter, dass die Situation eines Einzelnen
im Mittelpunkt steht.
Gesprächsleitung
Wir beschließen als Gruppe, ob wir eine Gesprächsleitung wünschen. Der/die
Gesprächsleiter/in eröffnet das Gespräch und achtet darauf, dass
einigermaßen ein roter Faden eingehalten wird und dass alle, die es möchten,
zu Wort kommen. Es ist sinnvoll, wenn wir uns in dieser Aufgabe abwechseln.
Je mehr jedes von uns sich für die Gesprächsatmosphäre mitverantwortlich
fühlt, desto entbehrlicher ist eine Gesprächsleitung.
Kontaktpersonen
Es ist ideal, wenn jede SHG über 2 bis 3 Kontaktpersonen verfügt, die sich
in die folgenden Aufgaben teilen:
-
Werbung für die Gruppe (Zeitungsberichte,
Handzettel etc.),
-
Kontakte nach außen (Gemeinde, Region),
-
Kontakt mit neuen InteressentInnen,
Reservation eines Raumes,
-
Verbindung zu New BALANCE.
-
Kontaktpersonen sind genauso sehr
Hilfesuchende wie Helfende. Wenn sie nur in der helfenden Rolle sind,
schwächt dies die Eigenverantwortung der übrigen Teilnehmenden.
Goldene Regeln einer Selbsthilfegruppe
Schweigepflicht
Alles, was wir in der Gruppe besprechen, ist streng vertraulich.
Kontakte außerhalb der Gruppentreffen
Unsere psychischen Probleme bringen oft Kontaktverlust und Einsamkeit mit
sich. Erfreulicherweise können in der SHG neue Freundschaften entstehen. In
einer akuten Krise ist es eine große Hilfe, jemanden aus der Gruppe anrufen
zu können. Manchmal fällt es mir leichter, meine Sorgen mit einer
Einzelperson aus der Gruppe zu besprechen. Wird dies aber zur Gewohnheit,
könnte es die Gruppe schwächen, denn in der Gruppe erhalte ich die Ansicht
Mehrerer und werde nicht vom Rat einer einzigen Person abhängig. Ich bin
auch weniger fixiert auf meine eigene Not, weil im Verlauf des
Gruppentreffens auch andere ihre Erlebnisse schildern.
Gesprächsstil
Ich komme in erster Linie für mich selbst in die Gruppe und bin bereit,
meine persönlichen Erfahrungen mitzuteilen. Ich spreche in der Ichform und
nicht per man. Die Beschreibung der Probleme von Drittpersonen sind für die
Gruppe nicht förderlich. Ich vermeide es, Ratschläge zu erteilen. Den andern
Mitgliedern ist mehr gedient, wenn ich aufmerksam zuhöre und gefühlsmäßig
Anteil nehme. Hilfreich ist, wenn ich schildere, was mir in vergleichbaren
Situationen geholfen hat.
Umgang mit Konflikten
In jeder Gruppe, also auch in SHG, tauchen Unstimmigkeiten auf (häufiges
Fehlen, langatmiges Reden, Dominieren, Belehren, etc.). Je rascher wir in
der Gruppe offen darüber reden, desto rascher kann ein Konflikt beigelegt
werden. Schweigen oder hinten herum darüber verhandeln ist kontraproduktiv
und belastet die Gruppe.
Die Gruppe ist ein Übungsfeld. Ich kann
in der Gruppe lernen, mit Konflikten umzugehen. Dies hilft mir, auch
anderswo Konflikte besser zu bewältigen.
Gefahrenherde
In der SHG ist es wichtig, dass wir einander ermuntern, gut für uns selbst
zu sorgen, uns gegen Zumutungen zu wehren, uns durchsetzen zu lernen etc.
Nicht mehr hilfreich ist es, wenn wir dabei gemeinsam Feindbilder aufbauen
(alle Männer sind gemein, mit psychisch Kranken kann man nicht zusammen
leben, alle Psychiater sind Scharlatane etc.)
Jedes von uns trägt schwierige
Erfahrungen aus dem Leben mit sich. Es kommt vor, dass uns ein
Gruppenmitglied an jemanden erinnert, unter dem wir zu leiden hatten. Wenn
ich mich über jemanden sehr ärgere, mich stark angegriffen fühle etc., hat
dies oft mit meiner Vorgeschichte zu tun. Wenn es möglich ist, in der Gruppe
darüber zu reden, habe ich die Chance zu erfahren, dass das Gruppenmitglied
doch anders ist als die gefürchtete Person in meiner Vergangenheit. So kann
ich Übertragungen verarbeiten.
Krisen haben Vorrang
Grundsätzlich soll jedes Mitglied in der Gruppe gleich viel Raum erhalten.
Wenn eines von uns in einer akuten Krise ist (Suizidgedanken, Frage nach
Klinikeintritt, Beziehungskrisen, Arbeitsplatzverlust, etc.), dann ist es
legitim, dass diese Person an einem Gruppentreffen mehr Raum als andere
erhält. Allenfalls wird auch ein vorgesehenes Gesprächsthema fallengelassen
zugunsten der aktuellen Situation.
Grenzen der Belastbarkeit
Eine SHG ersetzt fachliche bzw. ärztliche Hilfe nicht. Wenn ich in einer
manischen Phase nicht mehr in der Lage bin, zuzuhören bzw. mich in einer
depressiven Phase nicht mehr mitteilen kann, ist die Gruppe überfordert.
Leider kommt es ab und zu vor, dass eine SHG gezwungen ist, jemanden zu
bitten, der Gruppe fern zu bleiben (evtl. vorübergehend), damit nicht die
Gruppe auseinander fällt.
Es ist wichtig, dass solche Situationen in der Gruppe besprochen und
gemeinsam bewältigt werden. Oft ist es sinnvoll, von den Kollegen/innen im
BALANCE Rat oder Hilfe zu beanspruchen.
Wie lange brauche ich die Gruppe?
In Phasen, in denen es uns gut geht, ist es verständlich, dass wir die
schlechten Zeiten vergessen wollen. Es kommt häufig vor, dass
Gruppenmitglieder sagen, jetzt geht es mir gut, jetzt brauche ich die Gruppe
nicht mehr. Dabei wird unterschätzt, dass uns die Gruppe in guten Phasen
sehr viele Hinweise geben kann, an welchen Verhaltensweisen wir arbeiten
könnten, um neuen Krisen vorzubeugen.
Wenn es mir schlecht geht, bin ich froh,
wenn andere Gruppenmitglieder, denen es gut geht, mir Mut machen können. So
kann auch ich, wenn es mir gut geht, für andere hilfreich sein.
Wenn ich mich entschließe, nicht mehr an
der Gruppe teilzunehmen oder aus ihr auszutreten, ist es für die Gruppe
angenehmer, wenn ich dies mitteile und wenn möglich begründe, als wenn ich
einfach nicht mehr hingehe.
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